Hildegards Werke
Als Angehörige des Benediktinerordens war es ihr ein Bedürfnis, sich um Kranke zu kümmern. Ihre Begabungen und die Ausbildung im Kloster befähigten sie, ihr diesbezügliches Wissen zu formulieren und in Zusammenarbeit mit Schreibern und Illustratoren für die Nachwelt aufzuzeichnen. Ihre großartigen Leistungen allerdings wurden erst im 20. Jahrhundert entsprechend gewürdigt.
- Mit 43 Jahren beginnt Hildegard von Bingen mit ihrem dreiteiligen Werk „Scivias“ („Wisse die Wege“) den seelisch–geistigen Hintergrund, der durch all ihre Werke durchscheint, zu formulieren und mit Hilfe eines Schreibermönches zu Pergament zu bringen.
- Mit 50 Jahren beginnt sie ihr Werk „Liber vitae meritorum“ („Mensch in der Verantwortung“)
- mit 53 ihre „Physica“ („Naturkunde“)
- anschließend „Causae et curae“ („Heilwissen“).
- Inzwischen 65 Jahre alt geworden, beginnt sie „Liber divinorum operum“, das Buch über „Welt und Mensch“.
- Während ihrer Zeit des Bücherschreibens gründet Hildegard zwei Klöster.
- Sie macht sich viermal auf den Weg zu langen Predigtreisen, die sonst den Mönchen vorbehalten waren.
- Ihre schöpferische Kraft inspirierte sie zu 77 Liedern
- zu Singspielen
- und zu einem Mysterienspiel über ihr Hauptwerk „Scivias“.
Mit ihren beiden naturkundlich-heilpraktischen Werken "Physica" (weitere Bezeichnungen desselben Werkes: "Naturkunde", „Liber subtilitatum diversarum naturarum creaturarum“, „Buch von den Feinheiten der verschiedenen Naturen der Geschöpfe“, "Liber simplicis medicinae", „Buch der einfachen Medizin“, "Die Heilkraft der Natur-Physika" ) und „Causae et curae“ („Ursachen und Behandlungen“ bzw. „Ursachen und Behandlungen der Krankheiten“, „Heilwissen“) schuf Hildegard von Bingen die Grundlagen, aus denen die heute aktuelle Hildegard-Medizin schöpft.
„Causae et curae“ bzw. „Heilwissen“
In diesem Werk beschäftigt sich Hildegard mit den Ursachen und Behandlungen von Krankheiten, wobei sie sich bei der Bezeichnung von Krankheiten laut Prof. Dr. R. Hildebrandts vieldeutiger Termini bedient. So gebe es bei Hildegard hunderte Male den Begriff Gicht, doch damit sei nur selten dasselbe gemeint, was man heute darunter versteht.
Hildegard von Bingen beschreibt die Ursachen von Krankheiten entsprechend der antiken Vorstellung der Viersäfte-Lehre Galens, benennt sie allerdings anders. Zur Gesundung soll der Organismus durch Aderlass, Schröpfen, Schwitzbäder und Fasten entschlackt und von allen schädlichen Stoffen befreit werden, die heilende seelische Reinigung geschieht durch Liebe und Hoffnung, Musik, Gebet und Meditation, denn der gesunde Mensch lebt in Harmonie nicht nur mit sich selbst, sondern mit dem ganzen Kosmos! Die Vier-Elemente-Lehre Galens verschmilzt bei Hildegard mit dem christlichen Glauben.
Der Heilung dienen weiters eine entsprechende Ernährung und zahlreiche pflanzliche, aber auch tierischer Arzneien, Minerale und Edelsteine und. Gerne ließ sie ihre Arzneien in Wein ausziehen.
Nach der Lehre der Hildegard von Bingen wirken krankheitsvorbeugend:
- eigenverantwortliche, Körper, Geist und Seele harmonisierende Lebensführung mit einem geregelten Rhythmus von Aktivität und Ruhe
- eine – wie bei Galen - konstitutionsbedingte ausgewogene Ernährung, bei der bei Hildegard allerdings den Kräutern eine besondere Bedeutung zukommt, denn im Grün der Kräuter tritt die „Viriditas“, die den Mikrokosmos und Makrokosmos erhaltende Lebenskraft, sichtbar in Erscheinung.
- Fasten und Schwitzen zur inneren und äußeren Reinigung
- eine optimistische Lebenseinstellung, die sich Gott gegenüber dankbar und demütig zeigt.
„Physica“ bzw. „Naturkunde“:
Heilende Kräfte haben nach Hildegards Vorstellungen nicht nur Pflanzen, sondern auch Edelsteine, Mineralien und Tiere (auch die lieblichen Einhörner ). So gliederte sie ihr naturkundliches Werk "Physika" seinen Themen entsprechend in 9 Kapitel bzw. Bücher: Pflanzen, Elemente, Bäume, Steine, Fische, Vögel, Säugetiere, Reptilien, Ursprung der Metalle.
Hildegard von Bingen war eine exzellente Naturbeobachterin und schätzte auch das Wissen der Kräuterkundigen des Volkes, wodurch sie zusätzliche Heilpflanzen aus nah und fern kennenlernte. Besonders wertvoll hielt sie Betonie, Bertram, Brennnessel, Mariendistel, Schafgarbe, Galgant, Ringelblume, Ingwer, Dinkel, Esskastanien, Fenchel, aber auch giftige Pflanzen, von deren Selbstmedikation abzuraten ist, wie Aronstab, Diptam, Poleiminze, Rainfarn, Weinraute, Herzgespann, Schöllkraut.
Außerdem verknüpfte sie die Volksmedizin mit dem Wissen der antiken Medizin, das durch die Aufzeichnungen des Bischofs Isidor von Sevilla (6. Jhd.n.Chr.) den Klöstern übermittelt wurde und das die Grundlage des „Summarium Heinrici“, des wichtigsten Lehrbuches der mittelalterlichen Klosterschulen, bildete. Manches entnahm sie dem weit verbreiteten "Physiologus", einer frühchristlichen Naturlehre, die aus 48 Kapiteln, in denen Pflanzen, Steine und Tiere beschrieben und allegorisch auf das Heilsgeschehen hin gedeutet werden, besteht.
Die Überlieferung der „Physica“, des populärsten Werkes der Hildegard von Bingen, geschah durch Abschriften eines leider nicht mehr erhaltenen Originals. Aufgrund einer sehr gut erhaltenen Abschrift, die 1983 in Florenz entdeckt worden war, kam der Sprachwissenschafter Prof. Dr. R. Hildebrandt zu folgender Überzeugung: "Vieles kann sie nur vom Summarium Heinrici gelernt haben. Der Nachweis sind die deutschen Wörter, die erstmals im Summarium und dann bei ihr auftauchen."
Zum Weiterlesen: Unter dem folgenden Link findet sich eine Pionierarbeit aus dem Jahre 1951 von Dr. Alfred Pfäffl "Die phamazeutische Botanik der Hl.Hildegard von Bingen"