Die Alraune in der Antike
Dioskurides, der berühmteste Pharmakologe der griechisch - römischen Antike, 1. Jhd. n. Chr., nannte sie „Atropa mandragora“: „Atropa“ wie ihre Schwester „Atropa belladonna“, die Tollkirsche, der sie in ihrer Wirkung ähnlich, aber noch lähmender, ist, - „mandragora“, dem Persischen entlehnt und „Zauber wirkend“ bedeutend. ‚Einige nennen sie auch Kirkaia,’ schrieb er, ‚da die Wurzel als Liebesmittel wirksam zu sein scheint… ein Genuss von mehr Saft mit Honigmet getrunken als die Gewichtsmenge von 2 Obolen beträgt, nimmt das Leben weg.’ , warnte er im selben Textabschnitt. Sein botanisches und medizinisches Wissen über die Alraune, das zum Großteil bis heute gültig ist, kann zusammen mit seinen praktischen Anleitungen auf Pharmawiki unter der Nr. 76, Titel „Alraun“, nachgelesen werden.
Als Liebesmittel wurden auch ihre runden, beerenförmigen, bis zu 4 cm großen Früchte, die „Liebesäpfel“, genommen, die die Pflanze gelb-orange lockend wie auf einem Teller in ihrer Mitte serviert. Selbst die Bibel berichtet im Alten Testament (800 v. Chr.) davon, Genesis, Vers 14 – 16, als die unglückliche Lea um die Liebe ihres Ehemannes Jakob kämpfte, der immer schon ihre Schwester Rachel liebte und sich ein Kind von ihr wünschte: Leas ältester Sohn Ruben fand während der Weizenernte Dudaim (Liebesäpfel) auf dem Felde; und er brachte sie heim zu seiner Mutter Lea. Und Rahel sprach zu Lea: „Gib mir doch von den Liebesäpfeln deines Sohnes.“ Sie antwortete: “Hast du nicht genug, dass du mir meinen Mann genommen hast, und willst auch noch die Liebesäpfel meines Sohnes nehmen?“ Rahel sprach: „So mag er denn diese Nacht bei dir liegen für die Liebesäpfel deines Sohnes.“ Als nun Jakob am Abend vom Felde kam, da ging Lea hinaus, ihm entgegen und sprach: „ Zu mir sollst du kommen, denn ich habe dich gewisslich gedungen um die Liebesäpfel meines Sohnes. Und er lag bei ihr in selbiger Nacht. Und Gott erhörte Lea, und sie ward schwanger und gebar Jakob ihren fünften Sohn.“ Und wie ging die Geschichte weiter;) ? Dank der Liebesäpfel schenkte auch Rachel Jakob zwei Söhne: Josef und Benjamin.
Die alten Ägypter kannten die Alraune und ihre Wirkungen genauso und brauten mit ihr als Zutat ein Bier, das während Hathor-Feste als enthemmendes Rauschmittel und zur Bewusstseinserweiterung, um göttliche Visionen zu erleben, getrunken wurde.
In ihrer medizinischen Schrift, dem Papyrus Ebers, ist von weiteren, ernsthaften Wirkungen der giftigen Alraune nachzulesen:
ALRAUNE (Mandragora officinarum), die NOTFALLMEDIZIN der ANTIKE
Beeren und Wurzeln wurden als Narkotikum, starkes Schmerzmittel, Wurmmittel, als Mittel gegen Schlangenbisse, Geschwüre und gegen Lungenleiden verwendet.
Das sind Anwendungsgebiete der Alraune, die sich, ausgehend von Assyrien und Ägypten, über die Griechen und Römer in Europa bis in das 19. Jhd. gehalten haben! Bis 1846 die Äthernarkose eingeführt wurde, war ein Gemisch aus Alkohol und Extrakten aus Schlafmohn, Hanf und den hochgiftigen Nachtschattengewächsen Alraune, Bilsenkraut, Stechapfel und Tollkirsche, das einzige wirksame Mittel, Operationsschmerzen zu begrenzen!
Dieses Giftgemisch anzuwenden war jedes Mal höchst riskant, denn es oblag dem Geschick des Arztes, die richtige Dosis, die vom Patiententyp und vom Wuchsort, der Erntezeit und dem Alter der verwendeten Pflanzen abhing. Das Narkotikum wurde nicht nur geschluckt und lokal aufgetragen, sondern auch inhaliert. Hierzu wurde ein Schwamm mit den Pflanzenextrakten benetzt, getrocknet und bei Bedarf mit heißem Wasser bzw. Wein befeuchtet und dem Patienten auf Mund und Nase gelegt (spongia somnifera).
Manche/r wachte nicht mehr auf, denn die Tropan-Alkaloide (Scopalamin, Atropin, Hyosyamin) dieser Pflanzen werden rasch sowohl über die Haut als auch über Schleimhäute aufgenommen und wirken massiv auf das zentrale Nervensystem. Es zeigen sich Gesichtsrötung, erhöhter Puls, trockene Schleimhäute, Durstgefühle, Pupillenerweiterung, Unruhe, Erregung (auch erotische), Bewegungsstörungen, Wärmestau, Miktionsbeschwerden, Obstipation, Bewusstseinsstörungen, Halluzinationen, Tobsuchtsanfälle, Herzrhythmusstörungen, Seh- und Sprachstörungen, verlangsamter Herzschlag, totale Erschöpfung, Schlaf, Bewusstlosigkeit, Koma, Tod durch Atemlähmung.
ALRAUNE (Mandragora officinarum) im DEUTSCHSPRACHIGEN RAUM des MITTELALTERS und der frühen NEUZEIT
Nach der Völkerwanderung gelangte über die Medizinschulen und Klöster mit antiken medizinischen und kulturgeschichtlichen Schriften auch das Wissen über die bis dahin unbekannte Mandragora, deren Heimat das Mittelmeergebiet ist, in den deutschsprachigen Raum und fand hier fruchtbaren Boden vor.
Medizinisch behielt sie ihren Status als Narkotikum bei, und man wendete sie dazu auf die gleiche Art an wie in der Antike. Ansonsten wurde die Mandragora in den Rang des stärksten Zaubermittels gehoben, "das seine Kraft dem ihr innewohnenden, selbständigen Pflanzengeist verdankt."
Diese Verstärkung des Magischen der Mandragora, schlug sich im Mittelalter in ihrer Namensänderung nieder. Man übernahm nicht den griechischen Namen, sondern sprach von dieser Pflanze, die wegen ihrer oft gegabelten Pfahlwurzel an die Gestalt eines Menschen erinnert, von dem „Alraun“ (aus althochdeutsch alb "Faun“ und runen "heimlich flüstern") und auch vom „Galgenmännlein“, denn, anknüpfend an die an Bäumen aufgehängten Männer und Tiere, die die Germanen ihrem Hauptgott Odin (Wodan) opferten, war man der Meinung, dass der "richtige" Alraun unter Galgen wüchse, wo Sperma und Urin des Gehängten sein Wachsen initiierten und nährten.
Für die Ernte der Wurzel waren genaue Vorgaben angeordnet, denn man war weiterhin der Meinung, dass derjenige, der die Wurzel, eine Speicherwurzel übrigens, aus der Erde zieht, durch ihren Schrei, den sie dabei ausstoße, bzw. durch den Schrei des ihr innewohnenden Alrauns, getötet werde: Der Gräber verstopfe sich, um sich nicht in Lebensgefahr zu begeben, vorsorglich die Ohren mit Wachs und lasse die kostbare Wurzel von einem an ihr angebundenen schwarzen Hund aus der Erde reißen. – So, wie es bereits eine Bildtafel des Wiener Dioskurides zeigt.
Auch an die empfohlene weitere Vorgangsweise musste man sich halten, um sich des Pflanzengeistes, des Alrauns, zu vergewissern und sich der Pflanze als
- Orakel
- Liebes- und Fruchtbarkeitszauber
- Talisman
bedienen zu können. Die Alraune wurde als eng mit dem Satan verbunden betrachtet, selbst bei Hildegard von Bingen, und ihre Ernte und Pflege musste deshalb im Geheimen geschehen: „Hierauf nimmt man sie auf, wäscht sie mit rotem Wein sauber ab, wickelt sie in weißes und rotes Seidenzeug, legt sie in ein Kästlein, badet sie alle Freitag und gibt ihr alle Neumond ein neues weißes Hemdlein. Fragt man nun den Alraun, so antwortet er und offenbart zukünftige und heimliche Dinge zu Wohlfahrt und Gedeihen. Der Besitzer hat von nun an keine Feinde, kann nicht arm werden, und hat er keine Kinder, so kommt Ehesegen. Ein Stück Geld, das man ihm nachts zulegt, findet man am Morgen doppelt.“ (Quelle: Literaturnetz)
Noch in einem der ersten gedruckten Kräuterbücher, im „Der Gart der Gesundheit“, 15. Jh., ist diese mächtigste Zauberpflanze des Mittelalters stark vermenschlicht dargestellt.
Der Arzt und Botaniker Matthiolus, 16. Jh., hält allerdings nichts von derlei Zauber und warnt vor Fälschungen. Er macht in seinem „Neuw Kreütterbuch“ auch klar, dass die Alraunwurzeln, die sündteuer (waren sie doch durch ihren Wuchsort und die Grabemethode so schwer zu beschaffen ;) bei Theriakkrämern und Landstreichern gekauft werden mussten, fleißig gefälscht waren. „Quia vulgus vult decipi.“ - Da ja der Pöbel getäuscht werden will. (Matthiola in „Illustriertes Kräuterbuch“ von Marcell) Man nahm dazu harmlose Wurzeln wie die von Nachtkerze, Steckrübe, Iris, Eibisch, Rohrkolben, Gelbem Enzian, Siegwurz und Allermannsharnisch, aber auch von der giftigen Zaunrübe. Vollendet wurde das Galgenmännlein bzw. der Alraun durch Schnitzen und Keimen von Gersten- und Hirsekörnern, die in den Kopf der frischen Wurzel gedrückt wurden. Obwohl diese Unsitte mit hohen Strafen belegt war, hielt sie sich bis ins 19. Jh.
Zauberbeispiele:
- Auch die Wurzelstückchen waren von Nutzen als Liebeszauber, wenn man sie unter das Kissen oder in die Schuhe legte, bzw. sie sich als Talisman umhängte. Sogar bissige Hunde finden einem dann nett, verspricht ein Rezept auf Seite 411 der Textsammlung „Picatrix“ ( Im Mittelalter und bis ins 18. Jh. war diese Textsammlung in vielen Manuskripten verbreitet und eine wichtige Quelle für Magier und Hermetiker): „Ein Talisman, wer ihn bei sich trage, den bellen die Hunde nicht an und kommen ihm nicht nahe, sondern fliehen vor ihm: Man pulverisiert Mandragorawurzel, knetet sie mit Hündinnenmilch und macht daraus das Bild eines Hundes. Trag es bei dir, dann kannst du mitten durch bellende Hunde gehen, ohne dass du dich vor ihnen zu fürchten brauchst.
- Doch auch für Schadenszauber wurde - im Gegensatz zur Eibischwurzel - die Alraunwurzel benützt, denn „die Mandragora dagegen wirkt weitreichender im Bösen" (Picatrix).
- Anm.: In diesem Zusammenhang und mit dem Wissen über die medizinischen Wirkungen der Inhaltsstoffe der Alraune, ist es fahrlässig, in einem Kinderroman (Harry-Potter) des 21. Jh. Alraunentrank als Wiederbelebungstrank verwenden zu lassen, wie dies auch in einer Übersetzungskritik richtig angemerkt wird, die aber den Schaden der lebensbedrohlichen Verharmlosung auch nicht mehr beheben kann. Gut, dass Alraune so schwer erhältlich ist!
- „Die Räucherung Saturns:
Man nimmt je 50 Mitqal Mandragorafrüchte und Olivenblätter, getrocknet, 2 Mitqal Ricinusfrüchte, je 5 Mitqal Kerne des schwarzen Myrobalanum und schwarze Kichererbsen getrocknet, je 15 Mitqal Gehirn von schwarzen Raben, Kranichen und schwarzen Katzen getrocknet und je 20 Mitqal Schweine- und Affenblut getrocknet.“ (Quelle: Text des Picatrix)
- Hexensalbe:
Fliegenpilz und die stark giftigen Nachtschattengewächse Alraune, Tollkirsche, Stechapfel und Bilsenkraut, allesamt psychoaktiv, gelten heute als typische Hexenpflanzen. Sie werden immer wieder als Bestandteile von Hexensalben, die unter anderem die Halluzination des Fliegens hervorrufen würden, genannt. Die Herstellung einer „Flugsalbe“, die auf Fett und Kräutern basiert, ist einfach, ihre Zusammensetzung, Dosierung und Anwendung mehr als fraglich!
Da gilt es zu überlegen: W e r wurde aus Gründen der Hexerei verbrannt? Waren diese Menschen finanziell überhaupt in der Lage, sich Alraune zu besorgen? Von wem stammen die schriftlichen Rezepte der Hexensalben/Flugsalben? Wurden überdosierte halluzinogene Salben nicht v o n sondern a n Personen, die der Hexerei verdächtigt wurden, angewendet? Angewendet während des Verhörs, um ihre Aussagen bei einer Folterung in die gewünschte Richtung zu lenken? Hin zu dem Geständnis einer Buhlschaft oder eines Paktes mit dem Satan, das kirchlichen und staatlichen Institutionen zur Rechtfertigung von Folter und anschließender Verbrennung der lebenden Person auf dem Scheiterhaufen diente.
ALRAUNE HEUTE